Nicht mehr als der Raum

Rainer A.K. Brinkschröder analysiert den großen, neuen Ausstellungsraum im Museum Abtei Liesborn und verdeutlicht seine Wirkung. Den Künstler und Innenarchitekten reizte der von Prof. Dieter Baumewerd 2004 geschaffene Ausstellungsraum auf dieser Etage, denn er spürte, dass dieser Raum eine besondere Qualität besitzt. Diese Qualität wollte er künstlerisch untersuchen und klären.

Ich glaube, dass alle, die diesen schlichten Raum kennen, erfahren haben, dass der Raum etwas Besonderes besitzt. Er kann einzelne Kunstwerke aufnehmen, wie bei den über zwanzig Skulpturen der letzten Ausstellung des Kreiskunstvereins, ohne seine Eigenständigkeit aufzugeben. Bei Installationen in diesem Raum, wie bei Erich Lütkenhaus oder Ulrich Möckel, lässt der Raum sich gnädig ergänzen und bei einer Installation, wie bei Joachim Knoblochs Raum füllendem Gletscher aus Verpackungsmüll, gibt der Raum dem Künstler die größtmögliche Freiheit. So unterschiedlich diese drei Ausstellungen waren, zeigten sie alle potenziell einzelne, eigenständige Kunstwerke im Raum, die auch anderswo ausgestellt werden könnten.

Brinkschröder wollte das nicht. Die aufgestellten Elemente im Raum sind keine Kunstwerke in sich. Sie sind lediglich Paneele, die mit dem Raum ein Kunstwerk ergeben. Die sechs Paneele haben ein Format, das den Maßen der Fenster in der Ausstellungshalle entspricht. Beim ersten Betrachten ist es klar,  dass diese Fensterschlitze in den dicken Mauern des Neubaus den Raum prägen und lebendig machen. Sie gliedern die Wände und erlauben, wenn wir direkt vor ihnen stehen, einen Ausblick. Das erklärt, warum der Raum hell ist und warum wir ihn durchschreiten müssen, um alle Ausblicke zu erleben, aber die Frage bleibt offen, warum dieser Raum eine selbstsichere und bei aller Strenge bewegliche Ruhe ausstrahlt.

Brinkschröder brachte seine drei grauen und drei zartgelben Paneele so in den Raum unter, dass wir erkennen, dass die Proportionen des Raums ruhig sind. Das Element an der Stirnwand und das auf dem Boden liegende Paneel machen deutlich, dass der Raum zwei Mal so breit wie hoch ist, da sie beide die Raumhöhe als Längenmaß haben. Ihre Enden stoßen auf die Mittelachse des Raumes und treffen auf die Seite des dritten gelben Elements auf der Eingangswand. Sie verdeutlichen auch, dass durch die Lichteinwirkung dieser sehr schlichte und überschaubare Raum in unterschiedlichen Atmosphären gegliedert ist, denn die drei Paneele haben genau dieselbe gelbe Farbe. Sie wirken aber optisch, als ob drei unterschiedliche gelbe Farben benutzt wären, und das Gelb ändert sich auch im Laufe des Tages.

Das Grau der drei anderen Elemente wirkt genau so. Diese Elemente zeigen aber andere Aspekte des Raumes. Das eine bestätigt, dass die Elemente das Format der Fenster besitzen. Ein waagerechtes am Anfang des Raumes markiert eben den Anfang des Raumes, wo die ersten Fensterschlitze ohne Türen den übergang vom Gang zum Raum einläuten. Das dritte graue Paneel hängt auf dem mittleren Wandabschnitt links mit seiner Oberkante auf einer Linie, die der Unterkante des gelben Paneels an der Stirnwand entspricht. Dies verdeutlicht mathematisch, dass der Raum acht Mal so hoch ist wie die Fenster breit sind. Die mathematische Richtigkeit kann allerdings mit diesem grauen Paneel optisch nicht bestätigt werden. Die Tatsache, dass dieses letzte graue Paneel genau so breit und so lang wie die anderen ist, kann beim besten Willen mit dem Auge nicht wahrgenommen werden. Brinkschröders Analyse der Verhältnisse der Maße des Raumes zueinander ist einleuchtend. Die Entdeckung, dass dieser scheinbar gleich durchleuchtete Raum unterschiedliche Lichtzonen umfasst, ist schon eine künstlerische Leistung. Die Tatsache, dass der mittlere Wandabschnitt und das Paneel darauf sich nicht logisch analysieren lassen, sondern erlebt werden müssen, zeigt, dass Baumewerd ein Kunstwerk geschaffen hat, und Brinkschröder auch.

© Dr. Bennie Priddy, Museum Abtei Liesborn
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