raumbezug [2]
Raum- und Klanginstallation für die Synagoge Oerlinghausen
Rainer A.K. Brinkschröder (Raum) Hans Josef Winkler (Klang)
Einführung am 5. Februar 2011
Kunst ist eine ständige Herausforderung - und sie ist mit Anstrengung verbunden. Auch wenn Donald Judd behauptete, „es ist ein Mythos, dass schwierige Kunst schwierig sei“. Er begründete das, als er sagte „In der Kunst und in der Architektur ist Proportion spezifisch und identifizierbar, sie schafft unsere Zeit und unseren Raum. Proportion und eigentlich jede Intelligenz in der Kunst wird augenblicklich verstanden“ („ zumindest von einigen.“ Judd)
Ich habe nicht umsonst Donald Judd zitiert, dessen Museen im texanischen Marfa zur Zeit sehr im Gespräch sind. Rainer Brinkschröder beruft sich auf Judd, bzw. er siedelt seine persönlichen Erfindungen im Umfeld der formalen Strategien Judds an. Er ist Innenarchitekt, ein Raumbegreifer und ein Raumbildner, und er muss auf unsere Bereitschaft setzen, sich zunächst vorbehaltlos ganz auf seinen „raumbezug“ einzulassen.
Also Reset – alles auf Anfang
Alle, die das „Gefäß blau“ von Jochen Stenschke noch im Gedächtnis und sich an der fulminanten Ornamentik der blauen Zeichen begeistert haben, müssen dieses Erlebnis nicht vergessen aber Augen und Ohren öffnen für neue Bild- Klang- Eindrücke- und das im Wortsinn verstanden. Und die sind im Gegensatz zur überbordenden Fülle der blauen Wände geometrisch streng, minimalistisch und in der Verbindung mit der Musik von Hans Josef Winkler ein intensives Zwiegespräch interaktiver Farb-Ton- Setzungen.
Es scheint also keine Gemeinsamkeiten zu geben, zwischen den beiden Ausstellungen rund um den Jahreswechsel zum Jubiläum des Kunstvereins wie der Stadt Oerlinghausen. Und doch gibt es sie im konzeptuellen Ansatz und in der Basis, dem Raum Synagoge. Der Spannungsbogen der zeitgenössischen Kunst, wie sie hier in der Synagoge seit 35 Jahren gezeigt wird, wird in diesen beiden Projekten und Projektionen von so unterschiedlichen künstlerischen Ideen einmal mehr sichtbar.
In der aktuellen Installation bezieht sich auch Rainer Brinkschröder, um zunächst einmal ihn in den Mittelpunkt zu rücken, auf die architektonischen Voraussetzungen. Er entdeckte einen faszinierenden Raumbezug, Spannungsfelder und Proportionen, sehr durchdachte bauliche Zusammenhänge, wie sie der bescheidene Bau kaum vermuten lässt. Brinkschröders Reaktionen sind anders als die seiner Vorgänger, aber ebenso autark und authentisch. Seine Analyse der Gegebenheiten, die er punktuell in Farbe und Objekt festschreibt, ist ein anschauliches Kapitel aus der Lehre der Wahrnehmungsphänomene.
Die Grenzen der einzelnen Sparten wie Architektur, Design, bildende Kunst werden in einer neuen Ganzheit aufgehoben, wenngleich die Mutter der Künste, die Architektur, die bis in die Renaissance hinein an der Spitze der freien Künste stand, als Malerei und Bildhauerei „nur“ ein Handwerk waren, hier eindeutig den Ausschlag gibt.
Das Haus ist das Kunstwerk. Rainer Brinkschröder und Hans Josef Winkler nehmen Bezug, eignen sich den Raum an und interpretieren mit ihren je eigenen Mitteln die Wirkung, die Strahlkraft, allerdings nie losgelöst vom Inhalt des Hauses, der sich in den Raumbezügen – dieses Wort ist wirklich trefflich gewählt – niederschlägt und mitteilt. Brinkschröder hat die Ausrichtung der Achsen aufgespürt, die Diagonalen, das Maßwerk, um es einmal so zu nennen, von Gewölbe und Korpus.
Ganz bewusst markieren Klangkasten und Stühle relevante Positionen wie den Thoraschrein und die nicht sichtbare, aber als Schnittpunkt der Raumkräfte beschworene Stelle des Almemors in der immateriellen, geistigen Mitte des Bethauses, wo aus der Thorarolle vorgelesen wurde. Drei Stühle, deren Bodenmaß dem Quadrat der Platten entspricht. Unterschiedlich in der Höhe der Stuhlsitzflächen, was hierarchische Ordnungen und Generationen spiegelt, stellvertretend für die Individuen, die hier Platz genommen haben und selbst Individuen. Man darf und muss sie auch als Betrachter nutzen, um sich als Teil des Raumes den Spannungslinien der Installation und den ungemein differenzierten, starken Klangfolgen zu überlassen.
Immer wieder sind die Fenster der Synagoge als die ganz entscheidenden architektonischen Elemente wahrgenommen worden, für leise Kunstwerke sogar oft als zu dominant. Brinkschröder betont sie, indem er sie zurücknimmt. Das Sprossengitter weicht monochromen Farbflächen aus dem spröden Material Plexiglas, das übrigens wegen seiner Sachlichkeit bevorzugt auch von Donald Judd genutzt wurde. Entscheidend die Farben und die Sogkraft, die das Licht einsaugt und die Spiegelfähigkeit, die den Raum in die Fläche transponiert und den Betrachter mit sich selbst konfrontiert.
Heute wird es nicht glücken, aber wenn Sie wiederkommen, dann sollten Sie – und jetzt zitiere ich drei Titel - dem „sinnlosen Versuch“ zuhören „Logik über Gefühle zu stellen“ oder mit einer weiteren Tonfolge Winklers über die „Sinnlosigkeit von asketisch spirituellem Eifer meditieren“. Meditation ist das Stichwort, gleich 27 mal werden Sie dazu eingeladen und Hans Josef Winkler, ein Klangschöpfer im wahren Sinn, der heute an der Hochschule für Kirchenmusik in Herford einen Lehrauftrag hat, weiß klassischen Instrumenten und banalen Gegenständen eine Stimme zu geben, die unverwechselbar zu uns spricht in einer Sprache, deren Bedeutung und Aussage wir selbst definieren dürfen.
Geglückt und die Installation erhellend scheinen mir die Gouachenpaare aus orange-schwarzen Farbformen, die den Fenstern entsprechen und von Rainer Brinkschröder immer wieder unterschiedlich angeordnet wurden, um die differenzierenden Aussagekräfte aufzuzeigen, die jeder selbst zueinander in Bezug setzen kann. Brinkschröder nennt diese Werkgruppe „To Judd and Kelly“. Darum also auch den kunsthistorischen Verweis auf diese Künstler. Donald Judd und Ellsworth Kelly haben in der 2. Hälfte des letzten Jahrhunderts die radikale Neuformulierung künstlerischer Diktion geprägt und vorangetrieben mit einer Reduzierung auf die Grundformen und einer Absage an den Illusionismus. Kellys Credo lautete : “Das Thema meiner Arbeit ist die Struktur“ und um Ad Reinhardt noch zu zitieren: „Kunst ist Kunst, und alles andere ist alles andere.“ Dem ist ein Reichtum an formalen Erfindungen und eine ungeheure geistige Potenz in Bildern und Plastiken gefolgt. In diesem Kontext denkt und arbeitet Rainer Brinkschröder.